Sogar die Pflanzen sind gestorben

Lockdown: Eine Beschwerde
Foto von Hannahlyse


Nachdem wir gefühlte Jahre im Lockdown saßen, gab es einiges, auf das ich mich gefreut habe. Zum Beispiel, dass ich mehr als einen meiner Freunde gleichzeitig sehen kann, also in der Schule – in privaten Haushalten können wir warten bis wir ... ich weiß es nicht, mir gehen inzwischen die Vergleiche aus! Zum Schluss hatten meine Freunde und ich schon eine eigene Teams-Gruppe, wo wir von morgens bis abends „geteamt“ haben, abgesehen von den 100 neuen WhatsApp- Gruppen, den täglichen Snaps von Videokonferenzen, Essen und dem Wachstum unserer Pflanzen.

Also ich habe jetzt genug Erfahrung als Essens-, Fitness- und Pflanzenblogger, falls das doch nichts mit dem Abi wird.
Zurück zu dem, worauf ich mich gefreut habe ... Na ja, was heißt gefreut? Alles ist besser als alleine zu Hause in seinem Zimmer zu sitzen. Inzwischen war mein einziger Freund die angefressene Speckfalte, die mich von unten ganz mitleidig angelächelt hat. Und soziale Kontakte gab es ja nicht mal in den Videokonferenzen, weil niemand die Kamera angemacht hat. Dabei war das Im-Schlafanzug-und-frühstückend-vor-dem-Laptop-Sitzen ja unser gemeinsames Schicksal und unser neuer Freund die Speckfalte braucht halt auch ein bisschen Aufmerksamkeit und einen Grund zum Bleiben.

Am meisten habe ich mich natürlich auf unsere tollen AGs gefreut. Das sag ich jetzt nur, weil ich das hier für eine dieser AGs mache, und deshalb sage ich jetzt auch lieber nichts zur Schülerzeitung, sonst war‘s das ...

Also die Radio-AG (die brauchen ja gerade jeden, da sind meine Chancen groß, nicht rausgeschmissen zu werden): Das schönste an der Radio-AG ist der Raum, in dem wir eigentlich alle unsere Freistunden und Mittagspausen verbracht haben – natürlich mit Arbeiten, deshalb haben wir auch schon so viele Preise gewonnen.

Es gibt nur eine Sache, die mich stört: Diese Erdkundekarten! Also, ich glaube, es waren mal Erdkundekarten, inzwischen sind es Geschichtskarten, die sowohl die damalige Topografie zeigen als auch als ein Relikt der damaligen Zeit dienen. Einer unser AG-Leiter, Herr Peters, hat mal gesagt, dass inzwischen an der Dicke der Staubschicht das Alter der Karten bestimmt werden kann. Ich stimme grundsätzlich niemals einem Philosophielehrer zu, aber das halte ich durchaus für möglich.

Wir haben mal eine der Karten runtergeholt und ausgerollt. Die Riemen, mit denen die Karten zusammengehalten werden, bestehen noch aus echtem Leder ... So viel zu dem Alter. Und das Papier füllt sich inzwischen schon an wie Plastik ... aber ich bezweifle, dass die im 19. Jahrhundert schon wussten, was Plastik ist. Zum Glück habe ich mit dieser guten Schätzfähigkeit den Geschichtsleistungskurs gewählt. Meine lieben Lehrer, wir werden viel Spaß haben. Da kann ich nur hoffen, dass Herr Pfurr das hier nicht liest. Der beschützt diese Karten wie seinen Augapfel und nach diesem Artikel müsste ich das dann doch mit der Blogger-Karriere probieren.

Ich sollte besser aufpassen, was ich hier schreibe, weil ich weiß, dass meine Lehrer das lesen ... apropos lesen: Hat sich irgendwer mal die Briefe von Herrn Tonne durchgelesen (er wird das hier wohl kaum lesen, also kann ich was gegen ihn sagen)?

Diese Briefe wurden ja auch immer kürzer. Was mit 2-2,5 Seiten anfing, endete mit einer Seite. Gut, aber irgendwann fällt einem auch keine andere Formulierung für „Viel Spaß, wir bleiben noch paar Wochen zu Hause“ ein. Auch das sich wiederholende „Danke, dass ihr alle zu Hause bleibt und damit etwas für unsere Gesellschaft tut; bleibt stark“ verblüfft mich jedes Mal aufs Neue wieder. Das hört sich so an, als wäre das Zu-Hause-Bleiben freiwillig. Davon wusste ich nichts, ich bin davon ausgegangen, dass das Pflicht ist. So kann man sich täuschen.

Aber die Briefe hat Herr Tonne wahrscheinlich nicht selbst geschrieben, da hat sich irgendein Rhetoriker einen goldenen Kugelschreiber mit verdient ... oder ein goldenes MacBook. Ich sollte Rhetorikerin werden. Krisensicherer Job. Schließlich brauchen Politiker immer einen fertig ge- schriebenen Text, mit dem sie sich aus allem rausreden können.

Ist denen mal im Kultusministerium aufgefallen, dass die Briefe für die Sek 1 und Sek 2 die gleichen sind? Offensichtlich nicht. Ich habe im Übrigen mal nachgezählt und in den letzten drei Monaten haben wir vier Briefe von ihm bekommen ... Das war sehr schwierig, die alle wiederzufinden zwischen den ganzen E-Mails unserer Lehrer. Ständig bekommen wir Erinnerungen an eh unproduktive und langweilige Videokonferenzen und E-Mails, welche Hausaufgaben wir vergessen haben und noch nachreichen sollen.

Meine lieben Lehrer: Sie wissen es vielleicht nicht, weil sie keine Aufgaben bekommen, aber am linken Rand bei IServ steht so eine große, demonstrative, rote Zahl mit den zu erledigenden Hausaufgaben. Die kann man nicht, selbst wenn man wollte, übersehen, auch nicht vergessen. Und die wird auch nicht grün bei drei, zwei oder einer Aufgabe. Ich warte nur, dass sie mich irgendwann anschreit. Also, nein, ich habe die Aufgabe also nicht aus Versehen vergessen, sondern ich habe sie bewusst nicht gemacht. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Bei der Wahl zwischen „Nervenzusammenbruch und schlaflose Nacht“ oder „Netflix und heile Welt“ habe ich mich für „Nervenzusammenbruch und schlaflose Nacht“ entschieden, aber halt nicht wegen Ihrem Fach, sondern wegen einem Fach, wo es noch eine geringe Chance gibt, dass ich vielleicht noch eine einigermaßen gute Note bekomme. Ich bin ehrlich, ich bin in der 11. Klasse und habe für die Q-Phase 2, 3 oder 4 Fächer (wer weiß das schon so genau) abgewählt, Mathe ist leider keins davon. Als ob ich mir in denen noch Mühe gebe?! Das würden Sie doch auch nicht. Außerdem habe ich das in Politik bei Frau Burger gelernt; das ist pure Effizienz. Man merkt, Politik gehört zu den Fächern, in denen ich mir noch Mühe gebe, aber auch nur, weil ich da so kluge Sachen wie Effizienz lerne. Obwohl, seit sie weg ist, ist Politik nicht mehr das Gleiche.

Trotzdem bekomme ich von meinen Lehrern keine schlechten Noten. Ich glaube, die lesen alle meine Kolumnen und haben Angst, dass, wenn sie mir eine schlechte Note geben, ich aus dem Fenster des Radioraumes springe. Daran möchte ja keiner schuld sein ...

Zu meinem Glück wird das hier erst Ende des Jahres veröffentlicht, weil wir eine sehr produktive und schnelle Redaktion sind (jetzt habe ich doch was gegen uns gesagt). Und zum Glück bekommen wir in der 11. Klasse keine Note im Sozialverhalten mehr ... oder? Abschließend kann ich sagen, ich freue mich auf meine zukünftige Karriere als Pflanzenbloggerin und auf die Karten als Geschichtsrelikte im Leistungskurs.

von Hanna K.

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