„Ich liebe Aufräumen“
Foto von Lina S. |
Und eine Erinnerung führt zur anderen. Auf der Klassenfahrt haben meine Stimmungsschwankungen angefangen, weil eine Freundin Liebeskummer hatte. Und auf dieser Klassenfahrt haben mich eben diese und noch eine andere Freundin forever traumatisiert, indem sie im Dunkeln im Bett, als ich eigentlich hätte schlafen sollen, über „Apfel“ und „Ladekabel“ geflüstert haben. Klingt jetzt nicht schlimm, aber dann hab ich rausgefunden, wofür das Codenamen waren: „Ritzen“ und „Rasierklinge“. Seitdem hab ich Angst, wenn jemand im Dunkeln flüstert, während ich im Bett liege. Oder sogar, wenn Menschen flüstern oder leise reden, sodass ich zwar höre, dass sie reden, aber nicht, was sie reden. Ja ja, man sollte meinen, Zeit heilt alle Wunden, aber nein. Solche nicht.
Diese Erinnerung führt zu einer Erinnerung von Juni 2020 und in ganze Umzugskartons voll Erinnerungen, die normalerweise fest zugeklebt in meinem Kopf lagern, irgendwo, wo ich sie nicht sehen kann. Aber nun sind sie offen, und alles, was ich tun kann, ist, sie mit aller Kraft zuzuhalten, denn die Erinnerungen da drin sind nicht gerne eingesperrt. Jetzt, wo ich so drüber nachdenke: Eigentlich lagern diese Kartons nicht einmal in einem versteckten Winkel in meinem Kopf. Eigentlich hab ich sie in einen externen Lagerraum geschlossen, einen Keller oder einen Dachboden irgendwo. Das Problem ist nur, dass es Schlüssel gibt. Bestimmte Lieder, andere Erinnerungen, Redewendungen anderer Menschen. Oder Gesichter. Man sollte meinen, nach einem halben Jahr (doch schon so lange ...) hätte die Zeit ihre Arbeit erledigt und wenigstens ein paar Erinnerungen entemotionalisiert oder gar direkt in den Schredder geworfen, aber nein. Das ist scheinbar noch nicht passiert. Oder vielleicht öffnet die Zeit auch einfach langsam die Kartons und lässt immer mal wieder eine Erinnerung frei? Damit ich mich an sie gewöhnen kann? Dann heilt die Zeit vielleicht doch keine Wunden, sondern man lernt nur, mit dem Schmerz zu leben? Na ja, bei meinen Kartons scheint ja die Zeit bisher weder mit dem einen noch mit dem anderen angefangen zu haben. Vielleicht wird sie es nie tun, ich weiß es nicht. So lange jedenfalls bleiben diese Kartons erst mal auf dem Dachboden eingeschlossen. Und das Bild wandert zurück in den Papierkarton.
von Lina S.
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